Tarifverträge dürfen für Leiharbeitnehmer vom Equal-Pay-Grundsatz abweichen
Tarifverträge dürfen für Leiharbeitnehmer vom Equal-Pay-Grundsatz abweichen
16. December 2022
– Sie sind aber gerichtlich kontrollierbar
Das BAG hatte dem EuGH im Dezember 2020 verschiedene Fragen rund um die Abweichung vom Equal-Pay Grundsatz vorgelegt. Nun liegen die Antworten des EuGH (15. Dezember 2022, C-311/21) vor.
Darum geht es
Das deutsche Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) sieht in § 8 Abs. 1 vor, dass Leiharbeitnehmer grundsätzlich zu den gleichen Bedingungen, beschäftigt werden müssen, wie vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers. Sie müssen insbesondere die gleiche Vergütung erhalten (Equal-Pay-Grundsatz). In § 8 Abs. 2 AÜG ist allerdings vorgesehen, dass durch Tarifvertrag für von diesem Grundsatz abgewichen werden kann.
Diese Möglichkeit gilt aber nicht unbegrenzt. Der Tarifvertrag darf beispielsweise weder den Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz noch den in einer Verordnung nach § 3a AÜG festgelegten Mindestlohn unterschreiben.
Die Abweichung vom Equal-Pay-Grundsatz darf außerdem grundsätzlich nur für längstens neuen Monate gelten.
Ein abweichender Tarifvertrag muss auch festlegen, dass und welche Vergütung dem Leiharbeitnehmer für die Zeiten zwischen seinen Einsätzen zu zahlen ist.
Ausgangspunkt für diese nationalen Regeln ist Art. 5 der europäischen Leiharbeitsrichtlinie (EG/2008/104). In Art. 5 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie findet sich der europäische Equal-Pay-Grundsatz. In Art. 5 Abs. 3 der Leiharbeitsrichtlinie wird den Mitgliedstatten gestattet, tarifvertragliche Ausnahme von dem Equal-Pay-Grundsatz zuzulassen. Dies darf aber nur unter Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer geschehen.
Das BAG hat zu diesen Regelungen verschiedene Fragen an den EuGH gestellt.
Im Kern möchte es wissen, unter welchen Voraussetzungen Tarifverträge von dem Equal-Pay-Grundsatz abweichen dürfen.
Dazu hat es im Grunde genommen folgende Fragen gestellt:
- Was bedeutet der Begriff „Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer“ in Art. 5 Abs. 3 der Leiharbeitsrichtlinie?
- Müssen dabei nur abstrakt die tariflichen Arbeitsbedingungen geprüft werden? Oder müssen die tariflichen Arbeitsbedingungen und die Bedingungen der Stammarbeitnehmer des Entleihers verglichen werden?
- Darf ein solcher Tarifvertrag Abweichungen nur für unbefristet beschäftigte Leiharbeitnehmer vorsehen?
- Muss der Gesetzgeber Kriterien für die Achtung des Gesamtschutzes vorgeben oder darf er dies der Abwägungskompetenz der Sozialpartner überlassen?
- Falls der Gesetzgeber keine Kriterien vorgeben muss, dürfen die nationalen Gerichte abweichende Tarifverträge uneingeschränkt überprüfen?
Die Antworten des EUGH
- Der Begriff „Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern“ erfordert es, dass Nachteile zu Lasten der Leiharbeitnehmer durch Vorteile ausgeglichen werden, die geeignet sind, die Ungleichbehandlung auszugleichen. Es ist aber nicht erforderlich, dass die abweichenden ein spezielles Schutzniveau für Leiharbeitnehmer berücksichtigen, das über das Schutzniveau von „normalen“ Arbeitnehmern hinaus geht.
- Bei der Prüfung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer müssen konkret für einen bestimmten Arbeitsplatz die wesentlichen Arbeitsbedingungen von Leiharbeitnehmern und Stammarbeitnehmern verglichen werden.
- Tarifverträge dürfen auch Abweichungen für befristet beschäftigte Leiharbeitnehmer vorsehen.
- Der Gesetzgeber muss keine detaillierten Kriterien für die Wahrung des Gesamtschutzes vorgeben, wenn dessen Einhaltung sichergestellt sind.
- Nationale Gerichte dürfen abweichende Tarifverträge auf die Einhaltung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern überprüfen.
Ausblick
Der EuGH ist im Wesentlichen den Schlussanträgen des Generalanwalts gefolgt.
Es bleibt nun abzuwarten, wie das BAG die Entscheidung des EuGH umsetzt und welche Folgen dies für die Tarifverträge in der Leiharbeitsbranche hat.
Autorin: Dr. Martina Berenbrinker
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