Mehr Schein als Sein? – Das Homeoffice und seine Tücken

30. April 2020

30. April 2020 –

Homeoffice, Telearbeit oder mobile Work – diese Begriffe sind seit einigen Wochen mehr denn je in den Fokus gerückt. Die Corona-Pandemie hat zahlreiche Arbeitnehmer, deren Arbeitsleistung auch ortsunabhängig erbracht werden kann, an den heimischen Schreibtisch verbannt. Kürzlich propagierte der Bundesarbeitsminister dann auch noch, er würde noch in diesem Jahr einen Gesetzesentwurf vorlegen, der es Arbeitnehmern erlaube, freiwillig in die Homeoffice-Arbeit zu wechseln, ganz oder teilweise.

Ein entsprechendes Recht auf Homeoffice im Nachbarland Niederlande diente schon zuvor als viel zitiertes Paradebeispiel einer modernen und flexiblen Arbeitswelt.

Was in der öffentlichen Diskussion hierzulande jedoch verkannt oder jedenfalls beschönigt wird ist, dass den Arbeitgeber bei der Einführung von Homeoffice zahlreiche Organisations- und Schutzpflichten treffen, die bei konsequenter Umsetzung nicht nur aufwendig, sondern auch kostenintensiv sein können. Zudem zeigt die Beratungspraxis, dass das virtuelle Teammeeting eben doch nicht vollends als Ersatz für den echten, persönlichen Austausch herhält.

Im Folgenden soll daher einigen Fragen um das viel diskutierte Homeoffice nachgegangen werden. Darf der Arbeitgeber die Homeoffice-Arbeit einfach so anweisen? Was gilt es bei der Organisation des Homeoffice zu beachten? Und drohen bei Nichtbeachtung gar Sanktionen?

I. Homeoffice – eine einseitige oder zweiseitige Angelegenheit?

Während feststeht, dass zumindest bislang Arbeitnehmer kein generelles Recht auf Arbeit aus dem Homeoffice haben, stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber umgekehrt ein Recht zur Einführung von Homeoffice hat. Das LAG Berlin-Brandenburg hatte sich mit der Entscheidung vom 14. November 2018 (Az. 17 Sa 562/18) mit einem Fall auseinanderzusetzen, bei dem der Arbeitgeber per einseitiger „Versetzung“ den Arbeitsort des Arbeitnehmers vollumfänglich und dauerhaft ins Homeoffice verlagern wollte. Das LAG kam zu dem Schluss, dass eine entsprechende Pflicht des Arbeitnehmers zur Telearbeit grundsätzlich nur dann bestanden hätte, wenn es eine entsprechende kollektiv- oder individualrechtliche Vereinbarung gegeben hätte.

In der arbeitsrechtlichen Diskussion wird die einseitige Anordnungsbefugnis des Arbeitgebers per Direktionsrecht gem. § 106 GewO vielfach auf Grund des grundrechtlichen Schutzes der Privatwohnung des Arbeitnehmers abgelehnt. Interessant ist, dass das LAG Berlin-Brandenburg in besagter Entscheidung aber gar nicht auf Art. 13 GG abstellt. Stattdessen wird ausgeführt, dass die Arbeit ausschließlich aus dem Homeoffice nicht mit der Arbeit von der Betriebsstätte vergleichbar sei, weil der kommunikative Austausch mit Kollegen verloren gehe, die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit verschwimmen würden und der Arbeitnehmer schließlich für die betriebliche und/oder gewerkschaftliche Interessenvertretung schwerer erreichbar sei. Daher sei die Anordnung der Telearbeit nicht vom arbeitgeberseitigen Direktionsrecht gedeckt gewesen.

II. In echten Not- oder Krisensituationen einseitige Anordnungsbefugnis

Als sich vor einigen Wochen die Corona-Welle drohend vor der Deutschland und der Welt aufbäumte, wurde zu Recht vertreten, dies sei eine notfallartige Ausnahme, die ausnahmsweise und in bestimmten Grenzen doch die einseitige Anordnung von der Arbeit aus dem Homeoffice durch den Arbeitgeber legitimiere. Dafür sprechen verschiedene Argumente:

  • Zunächst lassen sich die Argumente des LAG Berlin-Brandenburg auf die Arbeitssituation während der Corona-Krise nicht übertragen. Die Homeoffice-Arbeit soll gerade nicht dauerhaft und vollumfänglich erfolgen, sondern ist anlassbezogen und vorübergehend. Der kommunikative Austausch zwischen Kollegen war und ist wegen der flächendeckenden Abstandsgebote und Ausgangbeschränkungen sowie der betrieblichen Änderungen ganz überwiegend auf virtuelle Kommunikation beschränkt – ob aus dem Homeoffice oder nicht. Gleiches gilt für die Erreichbarkeit durch die Interessenvertretungen. Dem Verschwimmen von Arbeit und Freizeit kann organisatorisch entgegengewirkt werden.
  • Die Produktionsstopps, Betriebsschließungen oder -einschränkungen bedeuten für eine Vielzahl von Unternehmen erhebliche finanzielle Schäden – nicht selten auch existenzbedrohend. Die gegenseitigen Rücksichtnahmepflichten und die arbeitsvertragliche Nebenpflicht des Arbeitnehmers zur Loyalität zu seinem Arbeitgeber gebieten es, diesen Schaden möglichst gering zu halten. Dazu kann das Aufrechterhalten des Betriebs durch die Arbeit aus dem Homeoffice einen Beitrag leisten, wenn die Betriebsaktivitäten andernfalls ruhen müssten.
  • Zwar trägt der Arbeitgeber das Betriebsrisiko auch in dem Fall, dass die zuständigen Behörden den Betrieb auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes schließen oder nur noch eingeschränkt und unter strengen Auflagen zulassen. Trotzdem muss hier eine Einschränkung dahingehend erfolgen, dass der Arbeitnehmer das volle Annahmeverzugsrisiko tragen kann, wenn dem Arbeitnehmer die Arbeit aus dem Homeoffice möglich und zumutbar wäre.
  • Zudem schreibt das Bundesministerium für Arbeit selbst in seinem SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard vom 16. April 2020: „Büroarbeiten sind nach Möglichkeit im Homeoffice auszuführen, insbesondere, wenn Büroräume von mehreren Personen mit zu geringen Schutzabständen genutzt werden müssten. Homeoffice kann auch einen Beitrag leisten, Beschäftigten zu ermöglichen, ihren Betreuungspflichten (z.B. Kinder oder pflegebedürftige Angehörige) nachzukommen.
  • Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers bringt es zudem mit sich, dass er das betriebliche Infektionsrisiko minimieren muss.

III. Regelungsbedarf bei der Gestaltung der Homeoffice-Arbeit

Rein faktisch wurde in den letzten Wochen in weiten Teilen der Republik Homeoffice kurzfristig eingeführt, teils per arbeitgeberseitiger Weisung, teils auf eigenen Wunsch der Arbeitnehmer. Durch das Erfordernis von ad-hoc-Reaktionen auf unvorhergesehene äußere Umstände blieb die rechtlich solide Umsetzung der Homeoffice-Einführung häufig auf der Strecke. Denn selbst wenn eine zweiseitige Vereinbarung ausnahmsweise entbehrlich war, treffen den Arbeitgeber zahlreiche Hinweis- und Schutzpflichten, die es zu beachten gilt. Bei Nichtbeachtung drohen teils nicht unerhebliche Bußgelder. Zwar zeichnet sich gegenwärtig ab, dass sich die Lage allmählich stabilisiert. Dennoch steht fest, dass die Pandemie die Arbeitswelt noch lange beeinflussen wird und auch die Homeoffice-Lösungen mittelfristig von Relevanz bleiben werden. Folglich gilt es bei der Gestaltung der Homeoffice-Bedingungen arbeitgeberseitig nachzubessern – getreu dem Motto „besser spät als nie“.

Im Besonderen gibt es in den folgenden Bereichen Regelungsbedarf:

  1. Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit

Das Arbeitsschutzgesetz und die Arbeitsstättenverordnung finden eingeschränkt auch bei der Arbeit im Homeoffice Anwendung. Daraus folgt die Pflicht zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung sowie zur umfassenden Unterrichtung der Arbeitnehmer zu Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit. Die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung macht in der Regel ein Zutrittsrecht des Arbeitgebers zum Homeoffice-Arbeitsplatz erforderlich. Bei Verstößen drohen immerhin Bußgelder von jeweils EUR 5.000 (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 1, 9 ArbStättV i.V.m. § 25 Abs. 2 ArbSchG).

Zu bedenken ist aber auch, dass die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls i.S.v. § 8 SGB VII sehr restriktiv ist. Bereits kurzzeitige Unterbrechungen der Arbeitstätigkeit, z.B. um ein Glas Wasser aus der Küche zu holen, wurden in der Vergangenheit bereits als privatnützig und damit nicht als Versicherungsfall der Unfallversicherung gewertet. Es ist nicht auszuschließen, dass die gesetzliche Krankenversicherung, welche dann stattdessen für Heil- und Hilfsmittel aufkommen muss, versucht den Arbeitgeber in Regress zu nehmen. Stellt sich heraus, dass der Arbeitnehmer wegen mangelhafter Arbeitsausstattung und fehlender Sicherheitsunterweisung im Homeoffice verunfallt ist, droht die Haftungsfalle.

  1. Datensicherheit und Datenschutz

Der Arbeitgeber ist als verantwortliche Person nach Art. 32 DSG-VO verantwortlich dafür, dass die Daten rechtmäßig verarbeitet werden und er muss insbesondere auch die nach Art. 32 DS-GVO technischen und organisatorischen Maßnahmen treffen, die zum Schutz der Daten jeweils konkret erforderlich sind. Die Arbeit im Homeoffice erfordert eine ausreichende Internetverbindung und ein sicheres Netzwerk. Geben die persönlichen Wohnverhältnisse eines Arbeitnehmers nicht her, dass Unterlagen und Daten nur in einem abschließbaren, vor Dritten und Familienangehörigen geschützten Raum verarbeitet werden, muss anderweitig gewährleistet werden, dass Unberechtigte keinen Zugriff erlangen. Auch muss die Vernichtung und Löschung von Daten datenschutzkonform erfolgen. Auch wenn bei der Bemessung von Bußgeldern vielfältige Faktoren zu berücksichtigen sind, können Datenschutzverstöße den Arbeitgeber teuer zu stehen kommen.

  1. Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes

Darüber hinaus ist der Arbeitgeber verantwortlich für die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes. Zwar kann die Pflicht grundsätzlich auf den Arbeitnehmer delegiert werden. Die Gesamtverantwortung verbleibt gleichwohl beim Arbeitgeber. Entsprechend wird es die Einhaltung von Höchstarbeitszeiten, Pausen und Ruhezeiten genauso wie das Verbot von Sonn- und Feiertagsarbeit gebieten, die Arbeitnehmer während des Homeoffices die Arbeitszeiten protokollieren zu lassen und diese Protokolle stichprobenartig zu kontrollieren, selbst wenn im Unternehmen üblicherweise Vertrauensarbeitszeit gelebt wird. Andernfalls drohen bei Verstößen empfindliche Bußgelder von bis zu EUR 15.000.

  1. Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats

Die vorstehenden, regelungsbedürftigen Aspekte der Telearbeit lösen an verschiedener Stelle Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus, wenn ein solcher im Betrieb besteht. Selbst wenn Betriebsräte in der Corona-Krise zunächst auf die Durchsetzung verzichtet haben mögen, um den Betrieb kurzfristig aufrecht erhalten zu können, wird der Druck in die Verhandlungen einzutreten, im Laufe der Zeit zunehmen. Am offensichtlichsten ergibt sich ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die geeignet sind das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Daneben ist zum Beispiel die Lage der Arbeitszeit mitbestimmt nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG und der Betriebsrat ist bei Entscheidungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Gesundheitsschäden im Homeoffice nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu beteiligen.

IV. Homeoffice ist da, die Regelungen noch nicht – ein Fahrplan

Arbeitgeber, die Homeoffice als ad-hoc Maßnahme ohne Vereinbarung der Bedingungen und ohne unterstützende Hinweise und Informationen eingeführt haben, sollten nun schnellstmöglich nachbessern, um jedenfalls für die Zukunft die genannten Risiken zu minimieren. Dabei empfiehlt sich, Folgendes zu berücksichtigen:

  1. Arbeitgeber sollten, sofern noch nicht geschehen, kurzfristig ihren Hinweis- und Organisationspflichten nachkommen, die Pflichten soweit möglich auf die Arbeitnehmer delegieren und bei Bedarf entsprechende Informationen bereitstellen.
  2. Idealerweise sollten dann auch nachträglich schriftliche Vereinbarung über Einführung und Bedingungen der Homeoffice-Arbeit abgeschlossen werden.
  3. Schließlich gilt es, die Grundsätze in eine dauerhafte Homeoffice-Policy zu überführen oder, falls im Unternehmen ein Betriebsrat besteht, Verhandlungen über die Einführung einer entsprechenden Betriebsvereinbarung aufzunehmen.

V. Fazit

In den Zeiten, in denen eine Tausende Arbeitnehmer in Kurzarbeit sind und um ihren Arbeitsplatz fürchten, wirkt es fast zynisch, die Debatte um ein Recht auf Homeoffice neu zu entfachen. Für viele derjenigen Arbeitnehmer, deren Arbeitsplatz dank Telearbeit nicht unmittelbar bedroht ist, hat das Homeoffice außerdem bereits an Glanz verloren. Das schillernde Bild der New Work vom Wohnzimmertisch aus, ist eben doch häufig doch nur eine Verklärung von Einsamkeit gepaart mit zu viel Fastfood und Rückenschmerzen vom fehlenden Schreibtischstuhl.

In einer bereits jetzt stark (über)regulierten Arbeitswelt, sollte das politische Signal derzeit in Richtung der Stärkung der Solidarität, der Gemeinschaft und des Vertrauens in die Arbeitsvertragsparteien gehen, einvernehmlich praktikable und interessengerechte Lösungen zu schaffen.

Ein flächendeckendes Recht auf Homeoffice-Arbeit darf jedenfalls die Kostenlast der rechtssicheren Einführung nicht auf die Unternehmen abwälzen. Wir sind auf die Erklärung des Bundesarbeitsministers gespannt, wie das bei dem gegenwärtigen Schutzniveau an Arbeitssicherheit und Datenschutz und den entsprechenden Arbeitgeberpflichten gelingen soll.

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